Hintergrund

Geschichte des Totenportraits

Die ersten Vorläufer der Totenfotografie sind aus dem 16. Jahrhundert bekannt. In dieser Zeit entstanden erstmals gemalte Totenportraits, die höchstwahrscheinlich der persönlichen Erinnerung an den Verstorbenen dienten.

Mit der Erfindung der Fotografie im 19. Jahrhundert erhielt diese Form der bildlichen Erinnerung einen enormen Auftrieb. Die Toten wurden zumeist als Schlafende dargestellt, und sollten möglichst inneren Frieden ausstrahlen. Während der Fokus anfangs auf das Gesicht des Verstorbenen gerichtet war, wurde im Laufe der Zeit die Aufbahrungsszene in das Totenbild integriert. Nachdem die Verdienstmöglichkeiten am letzten Bild von immer mehr Fotografen erkannt wurde, kam es zu einer regelrechten Kommerzialisierung der Totenfotografie. In Werbeanzeigen boten Fotografen an, in das Haus des Verstorbenen zu kommen und dort zu fotografieren. Auf dem Münchener Friedhof entstand gar ein eigenes Atelier speziell für Totenfotografie, so dass das letzte Bild sich nahtlos in den Bestattungskult einfügen konnte.

Dagegen wehrten sich die Friedhofsverwaltungen, und untersagten vielerorts das Fotografieren auf dem Friedhof und im Leichenschauhaus. Zu einem fast völligen Rückzug der Fotografie aus dem Bestattungswesen führten die beiden Weltkriege. Das Fotografieren der gefallenen Soldaten wurde untersagt und galt auch schnell als verpönt. Überhaupt sahen die Menschen in dieser Zeit wohl so viele Tote, dass sie deren Anblick überdrüssig waren. Lediglich in ländlichen Gegenden hielt sich der Brauch, die Aufbahrungsszenerie samt des Verstorbenen festzuhalten, bis in die 1970er Jahre.

Seitdem wird der Leichnam fast ausschließlich für künstlerische Zwecke oder massenmediale, emotionale Stimulierung fotografisch festgehalten. Die Erinnungsfunktion der Totenfotografie muss(te) erst wieder entdeckt werden. Zum Einen geschah dies durch engagierte Bestatter, die den Angehörigen anboten, ein Bild des Toten aufzunehmen, zum Anderen soll mein Diplomprojekt dazu beitragen, die Möglichkeiten des letzen Bildes auszuloten und ihren Wert öffentlich aufzuzeigen.

Bestattungskultur heute

Der Tod wird heute von vielen Menschen aus dem Alltag ausgeblendet. Im Falle des Todes eines Angehörigen jedoch bricht er mit voller Wucht über die Hinterbliebenen herein und offenbart eine große Unsicherheit, ja Hilflosigkeit der Frage gegenüber, wie diesem Schicksalsschlag begegnet werden kann. Christliche Riten und Gebräuche fingen diese Extremsituation früher auf. Nachdem die Religion im öffentlichen Leben des Einzelnen jedoch eine immer geringere Rolle spielt, tragen manche dieser heute noch praktizierten Riten oft einen fahlen Beigeschmack von Inhaltslosigkeit. Durch den Verlust des tieferen, religiösen Sinns können diese ihre Funktion, Halt zu geben, nicht mehr erfüllen.

Dabei sind Rituale wichtig für die drei Grundpfeiler, auf denen eine erfolgreiche Trauerarbeit beruht. Dazu gehören ein angemessener Umgang mit dem Toten, ein Abschied, der die Trauerarbeit einläuten kann und in positiver Erinnerung bleibt, sowie die Gestaltung der Erinnerung an den Verstorbenen. Die heutige Bestattungskultur ist sehr vielfältig und von kontroversen Motivationen geprägt. Einerseits führen finanzielle Zwänge und Ignoranz gegenüber dem toten Körper zu einem extrem rationalen Umgang mit dem Tod. Die steigende Anzahl anonymer Bestattungen spricht hierfür, wobei manche ihrer Varianten der reinen Beseitung des Leichnames näher kommen als einem würdevollen Abschied.

Andererseits kam es in den letzten Jahren zu einer umfassenden Kulturerneuerung im Bereich des Bestattungswesens. Alternative Bestattungsweisen gehen auf die Individualität des Verstorbenen sowie die Wünsche der Angehörigen ein, und engagierte Bestatter initiierten Rituale, die jedem Menschen, unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit, bei der Aufarbeitung des Verlustes helfen können. Dazu gehört auch der unbefangene Umgang mit dem toten Körper. Während viele Angehörige heute den Anblick des Toten meiden, werden sie von den Bestattern dazu ermuntert, den Verstorbenen noch einmal in Augenschein zu nehmen, um sich so direkt und persönlich von ihm zu verabschieden. Diesen Sinn verfolgt auch die Totenfotografie: Wie dem lebendigen Menschen wird dem Verstorbenen eine bildliche Präsenz zugestanden, und er wird als Person festgehalten.

Das Bildkonzept der Totenfotografie

Der Tod ist subjektiv, mit dem eigenen Körper nicht erfahrbar, bevor er nicht eingetreten ist. Rationale Annäherungen schlagen fehl, da wir zu wenig über den Zustand des Todes wissen können. Im Angesicht der erschreckenden Macht des Todes, verbunden mit der Unsicherheit um das Danach, muss jede gedankliche Annäherung, die sich nicht auf religiöse Konzepte stützt, zur Verdrängung oder zur Verzweiflung führen.

Der Mensch kann den Tod nur über Bilder zu begreifen versuchen. Durch diesen Versuch der Annäherung werden der Verstorbene wie der Tod selbst zum Bild. Wenn ein Mensch stirbt, verliert er die Macht über seinen Körper, wie seine kommunikativen Fähigkeiten. Der Leichnam stellt ein Abbild des Menschen zu Lebzeiten dar, unbeweglich und ohne Reaktionen. Bei der Betrachtung des Verstorbenen werden wir auf unsere eigene Körperlichkeit zurückgeworfen. Es entsteht ein Memento-Mori-Bildnis, die eindringliche Erinnerung an die eigene Sterblichkeit.

Ein Versuch, diese Grenze zwischen Verstorbenem und Betrachter zu überwinden, bestand im Laufe der Geschichte oft darin, das Totenbild in eine Ikone zu verwandeln. Totenmasken und Mumien beinhalteten die Vorstellung, dass der Verstorbene „leibhaftig“ in seinem Abbild innewohnt. So wird ein direkter Kontakt zu dem Toten möglich, und das Abbild tröstet über die Vergänglichkeit des Körpers des Verstorbenen hinweg.

Unsere heutigen Sehgewohnheiten verweigern sich diesem Gedanken. Die heutigen Totenporträts stellen jedoch eine Möglichkeit der Abschiednahme auf längere Zeit dar. Das Potraitieren des Toten schafft ein endgültiges Erinnerungsbild, das sich langsam mit den Erinnerungen an den lebendigen Menschen vermischt. Da es die Beisetzung des Verstorbenen überdauert, kann es den Hinterbliebenen bei der Trauerarbeit helfen. Dazu kommt die Tatsache, dass durch das Totenportrait der Graben von Leben und Tod für den Bruchteil einer Sekunde aufgehoben wird. Auf jeder Fotografie wird der abgebildete Mensch in seiner Vergangenheit dargestellt. In seiner Betrachtungsweise entspricht das Bild des Verstorbenen dem Bild des Lebenden, eingefroren durch die kurze Belichtungszeit der Fotografie.

Literatur

Hier eine kleine Auswahl interessanter Publikationen zum Thema „Totenfotografie“:

Philippe Ariès: Bilder zur Geschichte des Todes, Carl Hanser Verlag, München 1984

Roland Barthes, Die helle Kammer: Bemerkungen zur Photographie, Suhrkamp Frankfurt am Main 1985

Hans Belting, „Bild und Tod“; in: ders., Bild-Anthropologie: Entwurf für eine Bildwissenschaft, Wilhelm Fink Verlag, München 2002

Jens Guthmann, „Gemalte und fotografierte Bilder von Toten: Vom Erinnerungsbild zur zeitgenössischen Fotografie“; in: Friedhof und Denkmal 1-2005, Zeitschrift für Sepulkralkultur, Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V., Kassel

Felix Hoffmann, Das letzte Bild: Aspekte der Totenfotografie im 19. Jahrhundert, Magisterarbeit an der, Humboldt-Universität zu Berlin, 13.4.2001

Johannes und Hans Meiner, Fotografiertes Bürgertum von der Wiege bis zur Bahre, Limmat Verlag, Zürich 2005

Rudolf Schäfer, Der ewige Schlaf/ Visages de morts, Kellner GmbH & Co. Verlags KG, Hamburg 1989

Walter Schels und Beate Lakotta, Noch einmal leben vor dem Tod: Wenn Menschen sterben, Deutsche Verlagsanstalt, München 2006 (4. Aufl.)

Martin Schulz, „Spur des Lebens und Anblick des Todes: Die Photographie als Medium des abwesenden Körpers“; in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, Band 64/ 2001