Erfahrungen

Im Sommer 2006 begann ich, meine Diplomarbeit unter dem Titel „Mitten im Leben… – Die Rolle des Bildes im Umgang mit dem Tod“, vorzubereiten. Meine Aufmerksamkeit galt hierbei der aktuellen Bestattungskultur. Um diese möglichst praxisnah zu erforschen, führte ich mit verschiedenen Bestattern in Bielefeld und Umgebung Interviews durch, die Fragen des heutigen Umgangs mit dem Verstorbenen betrafen.

Die Art und Weise, in der die Bestatterin Lindy Ziebell von ihrem Beruf erzählte, und die Beschreibung der Rituale, die Monika Noller und Lindy Ziebell für den Abschied initiieren, faszinierte und berührte mich von Anfang an. In diesem Bestattungsinstitut waren die Verstorbenen Personen, denen großer Respekt, Menschlichkeit und Wärme entgegengebracht wurde.

Auf den Vorschlag von Lindy Ziebell, die Verstorbenen zu fotografieren, begann ich, mich intensiv mit dem fotografischen Totenportrait auseinanderzusetzen. Mir wurde klar, dass dieses in Vergessenheit geratene Genre der Fotografie ein großes Potential birgt, sowohl im Hinblick auf das Medium der Fotografie als auch auf deren sozialen Gebrauchsweisen. So traf ich mich mit den Bestatterinnen Monika Noller und Lindy Ziebell zu einem weiteren Gespräch, um meine Vorstellungen darzulegen und gemeinsam die Umsetzung der Idee zu planen.

Die ersten Versuche einer zeitgenössischen Totenfotografie wurden im September 2006 unternommen. Dabei fragten die Bestatterinnen die Angehörigen im Trauergespräch, ob sie gerne ein Bild von dem Verstorbenen hätten. Dieses Angebot wurde den Angehörigen schon früher unterbreitet, wobei die Bestatterinnen selbst den Toten fotografierten. Sprachen die Angehörigen den Wunsch nach einem Bild aus, und waren damit einverstanden, dass das letzte Bild von einer externen Fotografin aufgenommen wurde, kam ich mit meiner Kameraausrüstung in das Bestattungsinstitut und fotografierte den Verstorbenen.

Das Fotografieren ging in sehr gelassener Atmosphäre und mit allem Respekt vor dem Toten vor sich. Ich war beeindruckt von der Präsenz des Verstorbenen und deshalb sehr bedacht, dessen Intimsphäre nicht zu übertreten. Dazu betrachtete ich zunächst den Verstorbenen, um mir eine Vorstellung von dieser Person zu machen. Auf dieser Basis war eine Kommunikation zwischen Fotograf und Verstorbenen möglich: ich wusste, wieviel Abstand ich einhalten musste, und wann es Zeit war, zu gehen. Die fertigen Bilder präsentierte ich den Bestatterinnen, und wir trafen gemeinsam eine Auswahl der Bilder, die dem Angehörigen vorgelegt wurden. Danach berichteten die Bestatterinnen von der Reaktion der Angehörigen und wir reflektierten diese, wie die Aufnahmesituation.

Die Reaktionen auf die Idee des letzten Bildes gestalteten sich recht unterschiedlich. Zunächst trug ich die Idee zahlreichen Bestattern vor.

Diese zeigten teilweise eine gewisse Scheu, den Angehörigen diese Möglichkeit der Erinnerung anzubieten. Zweifel an der Nützlichkeit desAngebotes bezogen sich sowohl auf das letzte Bild an sich, als auch auf die Frage, warum hierfür eine externe Fotografin engagiert werden sollte. Schließlich fotografieren viele Bestatter ihre Verstorbenen selbst, wenn sie darum gebeten werden. Einzelnen Bestattern war auch die Verbindung meines Angebotes mit meiner Diplomarbeit nicht ganz geheuer. Die Tatsache, dass ich einige Bilder der Verstorbenen öffentlich bei der Diplomausstellung präsentieren wollte, hielt sie davon ab, mit mir zusammenzuarbeiten.

Die Bestatter, die dem Projekt zustimmten, stießen teilweise auf grundsätzliche Ablehnung der Angehörigen. Vor allem in den ländlicheren Gegenden, in denen die Bevölkerung recht konstervativ eingestellt ist, gilt das Fotografieren im Todesfall nicht als angemessene Form des Abschiedes.

Im Bestattungsinstitut Noller&Ziebell war dies selten der Fall. Die Bestatterinnen sind von der Idee überzeugt und vermitteln sie an die Angehörigen, ohne diese zu einem letzten Bild zu überreden. Die Reaktionen auf das letzte Bild von Seiten der Angehörigen fielen recht unterschiedlich aus: Teilweise waren die Angehörigen sofort sehr angetan von den Bildern, und ließen sich Nachbestellungen anfertigen. Andere brauchten etwas Zeit, das Bild anzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen.

Für eine abschließende Einschätzung ist der Zeitpunkt jedoch zu früh: Das letzte Bild ist für die Erinnerung auf lange Zeit angelegt, und kann deshalb erst nach einigen Monaten, wenn nicht gar nach Jahren, in seiner Wirkung und seinem Nutzen realistisch eingeschätzt werden.